Eine
Polemik aus gegebenem Anlaß.
Jeder Fußballfan weiß es intuitiv. Es ist nicht
nötig, es auszusprechen. Keiner zweifelt daran. Und doch gibt es das Bedürfnis,
es ein für alle Mal festzustellen: Es gibt keine Bayern-Fans. Ohne Zweifel, es
gibt Menschen, die sich einbilden, Fans von Bayern München zu sein. Ihrem
äußeren Verhalten nach könnte man sie auch als solche
wahrnehmen. Sie tragen die Trikots ihrer Mannschaft,
jubeln bei Treffern für ihr Team, lesen in der Zeitung jede noch so unwichtige
Meldung über ihren Verein und fiebern dem nächsten Spieltag entgegen. Aber
ihnen fehlt doch das Eigentliche, die Essenz des Fan-Seins: Verzweiflung.
Es gibt keine Anhänger des FC Bayern, die jemals von diesem Gefühl gepackt wurden. Über Tage hinweg wie gelähmt zur Arbeit zu gehen, im Kopf nur der Gedanke an die drohende Niederlage, das endgültige Aus, den Abstieg, den verpaßten Aufstieg oder UEFA-Cup-Platz. Bayern-Anhänger haben immer eine Gewißheit, die sie immun macht gegenüber jedem Gefühl der Angst und der Ausweglosigkeit. Sie wissen, ihr Klub kann jede verpaßte Chance nachholen. Wenn nicht diesmal, dann eben nächste Saison. Was soll's, wir holen uns schon die richtigen Leute.
Es
gibt keinen Bayern-Anhänger, der jemals mitansehen mußte, wie sein Team zum
sechsten Mal in Folge verliert. Kein Bayern-Anhänger saß jemals zitternd vor
dem Radio und fürchtete sich davor, daß der Reporter ein Tor aus einem Stadion
verkündet, in dem sein Klub gerade das überlebenswichtige 0:0 über die Zeit zu
retten versucht. Ein Erlebnis, das am Samstag den Fans des VfL Wolfsburg,
sofern es diese geben sollte, zuteil wurde, als Elber in der 87. Minute doch
noch traf - für Bayern, versteht sich.
Natürlich,
Bayern hat schon bittere Niederlagen hinnehmen müssen, etwa 1982 im
Europacup-Finale gegen Aston Villa. Oder 1987 gegen Porto. Mehrfach wurde die
Meisterschaft knapp verpaßt. Aber dieses Gefühl, das 30.000 Werder-Fans
ergriff, als Kutzop den Elfmeter an den Pfosten setzte, werden Bayern-Anhänger
nie erleben. Kein Bayern-Anhänger wird je verstehen, was die Frankfurter Fans
1992 durchlitten, als ihr Team in Rostock die Meisterschaft verspielte. Dieser
Aspekt der verzweifelten Hingabe fehlt jedem, der sich für den FC Bayern
entschieden hat. Und höchstwahrscheinlich ist es gerade das, was diesen Verein
für Millionen Menschen so attraktiv macht.
Der natürliche Grundzustand des Bayern-Anhängers ist
also nicht Verzweiflung, das Gefühl der Ausweglosigkeit und Schwäche, sondern
Bayern-Anhänger leben in einem Ausgangszustand der Arroganz und Überlegenheit.
Verzweiflung wegen und durch ihren Fußballclub ist diesen Menschen vollkommen
fremd. Bayern-Anhänger sind keine Fußballfans, sondern Feiglinge, unfähig zu
wahrer Hingabe, die das Risiko einschließt, tief enttäuscht zu werden.
Der Spiegel vom 06. Dezember
1999:
Von Katrin Weber-Klüver
Muss
man sich derzeit Sorgen um die Bayern-Fans machen, deren Verhältnis zu ihrer Mannschaft
wie zertrümmert scheint? (...)
(...)
müsste man die Spieler des FC Bayern München bedauern. Wem wünscht man schon
solche Fans?
Ein einziges Derby haben die Spieler verloren (...).
So was soll es geben, dass man im Fußball Spiele verliert. Der FCB-Anhang aber
sieht das anders, wendet sich wütend ab und ist tagelang beleidigt.
Anschließend glaubt er, die Spieler mit exklamatorischen Transparenten
bestrafen zu können: "Schämt Euch Ihr Söldner!" am Mittwoch in
Mannheim, "Wir verzeihen nicht!" am Sonnabend in München. Da muss man
als Spieler wohl nicht einmal die Eisbergmentalität eines Effenberg haben, um
nur mit den Schultern zu zucken, sich desinteressiert abzuwenden - vielleicht
sogar ganz im Stillen traurig zu sein, nicht Fans zu haben wie alle anderen
auch. Solche, deren Wut aus Leidenschaft entspringt.
Bayern-Fans
sind anders. Ihnen ist alles egal, nur eines muss sein: Dass sie als Sieger
nach Hause gehen. Gemeinhin werden Kinder durch familiäre Einflüsse, qua
Geburtsort oder durch merkwürdige, schicksalhafte Zufälle Anhänger eines
Fußballvereins. Aber es gibt eben auch diese Kinder, die als Fünfjährige
cholerische Wutanfälle bekommen, bloß weil sie mal beim Murmelspiel verlieren.
Die werden dann Bayern-Fans.
Weil
sie den Verein nicht aus Zuneigung ausgewählt haben, sondern um auf der
Gewinnerseite zu stehen, sind sie die schlechtesten Verlierer von allen. Manche
FCBler (...) haben jetzt zum ersten Mal im Leben eine Derby-Niederlage
mitbekommen. Jeder normale Fußballfan kennt vergleichbare Situationen, er kennt
die Optionen Sieg, Unentschieden, Niederlage und er versteht es, das Spektrum
von Jubel bis Endzeitstimmung auszuleben.
Bayern-Fans
können das nicht. Sie sehen Fußball wie "Derrick": Es muss
nervenschonend spannungsfrei zugehen und der Erfolg am Ende von Anfang an
feststehen. Alles andere - Betrug! Betrug am Konsumenten. Nichts anderes ist
der Bayern-Fan: ein Konsument, der Service erwartet. (...)
Schon
bei kleinsten Pannen wechselt der Bayern-Fan pikiert den Anbieter. Niemand in
Dortmund käme auf die Idee, in schweren Zeiten wie diesen zum VfL Bochum
überzulaufen. In München wechselt der beleidigte Bayern-Fan zwischenzeitlich
schon aus nichtigeren Gründen als einer Derby-Niederlage mal zu Unterhaching.
Zur Strafe für den großen FCB sozusagen. (...) Da kennt er nichts. Aber er
kennt ja ohnehin nichts. Jedenfalls nichts vom Fußball.